Beste Aussichten für edle Tropfen

Wenn Norbert Massengeil-Beck seine Weinstöcke besucht, dann ist Trittsicherheit und Kondition gefragt. Denn die Reben wachsen am Obernhofer Steilhang – und der hat stellenweise bis zu 65 Prozent Steigung. Idyllisch mäandert die Lahn unterhalb der Hänge durch das enge Tal, der fruchtbare Schieferboden speichert die Sonne besonders gut. „So haben unsere Reben ein sonniges Plätzchen mit besten Aussichten,“ schmunzelt der Traditionswinzer. „Und das schmeckt man natürlich.“

Das Weinanbaugebiet Lahn gehört seit 1971, rein gesetzlich gesehen, zum Anbaugebiet Mittelrhein. Doch schon seit dem 13. Jahrhundert wird hier am südlichsten Rand des Westerwaldes Wein angebaut, in den besten Zeiten kam die Region auf über 100 Hektar Rebenfläche zwischen Limburg und Lahnstein. Damals ging der Betrieb von Kirchen und hohen Herrschaften aus, die sich den Anbau leisten konnten – vom Wissen der Patres im nahegelegenen Kloster Arnstein profitieren die hiesigen Winzer bis heute.

Dennoch handelt es sich beim Lahnwein bislang um einen echten Geheimtipp, aktuell bebaut nur eine Handvoll Winzer das fruchtbare Land. Norbert Massengeil-Beck ist einer von ihnen. In dritter Generation führt er seit 1996 gemeinsam mit seiner Frau Monika das Familienweingut im Haupterwerb. Und seine beiden Söhne stehen bereits in den Startlöchern.
„Das Klima im Tal ist ideal für den Weinbau,“ sagt Massengeil-Beck. „Und um unseren Schieferboden mit Grauwacke-Anteilen beneiden uns viele. Der wichtigste Faktor, besonders in Zeiten des Klimawandels, ist aber vermutlich der Bims im Untergrund. Er speichert das Wasser und garantiert, dass die Reben auch in trockenen Phasen gut gedeihen.“
Hier am Goetheberg in Obernhof und an der Giebelhöll im Nachbarort Weinähr baut die Familie fünf verschiedene Rebsorten an: Den Riesling als Hauptsorte, Weißburgunder, Dornfelder und Müller-Thurgau sowie Spätburgunder. Neben seinen charaktervollen, ehrlichen Weinen und einem eigenen Weinbrand kreierte Massengeil-Beck als erster an der Lahn einen eigenen Sekt, den Obernhofer Goetheberg Brut. Demnächst soll es auch einen Prosecco geben.

Im Schnitt „besucht“ der Winzer jeden einzelnen Rebstock 18 Mal im Laufe eines Jahres: von Bindearbeiten im Frühjahr über Bodenarbeiten und Pflanzenschutz bis hin zur Lese. Im Spätherbst, wenn der Wind die letzten Blätter von den Reben gepustet hat, beginnt die Winterruhe. Jetzt steht mit dem Rebschnitt die entscheidende Arbeit für den nächsten Jahrgang an. „Für uns Winzer ist das ist die schönste, die entspannteste Zeit,“ so Massengeil-Beck. „Der Jungwein ist im Fass, das Wetter ist noch angenehm, man arbeitet sich von Stock zu Stock, lässt das Jahr Revue passieren und schmiedet Pläne fürs nächste.“
Dennoch: Das unbestrittene Highlight im Weinjahr ist die Erntezeit. „Jeder Winzer erlebt in seinem Leben etwa 40 Weinlesen,“ sagt Massengeil-Beck. „Da ist natürlich jeder Jahrgang etwas ganz Besonderes.“ Kein Wunder, dass Familie Massengeil-Beck zu diesem Anlass besonders großen Wert auf Gemeinschaft und Geselligkeit legt – viele Erntehelfer packen nach wie vor freiwillig mit an.
„Wir zelebrieren das richtig,“ so der Winzer. „Das fängt beim gemeinsamen Frühstück im Weinberg an; mittags gibt es immer eine warme Mahlzeit. Und wenn es dann geschafft und die Ernte eingefahren ist, kommt der vielleicht schönste Augenblick des Jahres: Dann stoßen wir mit einem Glas Sekt auf unseren gemeinsamen Erfolg an und feiern ein zünftiges Erntedankfest.“

In manchen Jahren dauert die Lese nur zehn Tage, in anderen Jahren bis zu vier Wochen – je nachdem, wie viele Trauben zur Reife gelangen. „Das kommt zum einen stark auf das Wetter an, zum anderen auch darauf, wie viel Vogelfraß und Wildverbiß wir zu verzeichnen haben,“ erklärt Massengeil-Beck. „Wenn in einem Jahr beispielsweise die Brombeeren nicht reif werden, stürzen sich die Vögel umso mehr auf die Trauben.“

Apropos Schädlinge: Auf Pestizide verzichtet Massengeil-Beck gänzlich. „Wir legen Wert auf eine schonende Rebkultur und unterstützen zahlreiche Naturschutzmaßnahmen, etwa den Erhalt und den Ausbau von Trockenmauern und Streuobstwiesen, damit eine artenreiche Flora und Fauna gedeihen können.“
Am liebsten sitzt Norbert Massengeil-Beck am Goethepunkt oberhalb von Obernhof und genießt den traumhaften Blick über seine Reben, das Lahntal und Kloster Arnstein. „Das ist einfach unbeschreiblich,“ sagt er. „In solchen Momenten scheint die Zeit fast stillzustehen: Der Fluss plätschert vorbei an den steilen Hängen, zwischen verwunschenen Wäldern und malerischen Dörfern hindurch. Für mich ist das Entschleunigung pur.“Und dieses Gefühl möchte der Winzer an seine Kunden weitergeben: Neben Verkostungen im hauseigenen Weincafé nimmt er Gäste nach vorheriger Anmeldung auch mit zur fröhlichen Weinprobe am Goetheberg. Dort erfahren sie bei erstklassiger Aussicht und aus erster Hand Wissenswertes zur Region und ihren edlen Tropfen.

Und auch Persönliches – etwa wie Norbert Massengeil-Beck zum Vollblutwinzer wurde: „Mit ungefähr 15 Jahren packte ich im Weinberg meines Vaters mit an, der den Weinbau im Nebenerwerb betrieb. Und das war der Moment, in dem der Funke übergesprungen ist,“ erinnert er sich. Es folgten eine Winzerlehre an der Mosel und die Weiterbildung zum Weinbautechniker in Bad Kreuznach. Als ihm eine prestigeträchtige Stelle am Bodensee angeboten wurde, hörte Massengeil-Beck auf sein Bauchgefühl und entschied sich für die Heimat. „Ich war mir einfach sicher: Hier im Lahntal liegt so viel Potenzial, auch in touristischer Hinsicht. Das ist noch lange nicht ausgeschöpft. Ich vergleiche das immer mit einem Tal im Dornröschenschlaf – mein Ansporn ist, es aufzuwecken.“

Eines der vielversprechenden Projekte ist der neue Lahnweinstieg, der direkt durch die Weinberge führt. Elf Kilometer ist er lang und verläuft auf drei unterschiedlichen Routen wie ein dichtes Zickzack-Netz zwischen den Weinbaugemeinden Obernhof und Weinähr hin und her. Zahlreiche Attraktionen machen den Weg zu einer Zeitreise in die bewegte Vergangenheit der Region.

Den Lahnwein kannst du sowohl im Weingut Massengeil-Beck als auch im Lahnweingut Sabine & Uwe Haxel, im VinoVent Oberhof, und im Weingut Schreiberlay probieren.

Anja Kocherscheidt

Anja Kocherscheidt ist als freie Autorin und Fotografin mit Vorliebe in der Natur unterwegs – am liebsten per Rad, mit dem Kanu oder auf Schusters Rappen. Mit dem Lahntal verbindet sie seit ihrem Studium in Marburg eine lange und innige Liebe.