AUF EIN SCHWÄTZCHEN AUF DEN GIESSENER WOCHENMARKT
Schon seit über 125 Jahren treffen sich die Gießener jeden Mittwoch und Samstag auf dem Wochenmarkt rund um die historischen Arkaden. Und der ist weit mehr als nur ein Markt! Vielmehr handelt es sich um eine echte Institution, bei der es neben frischen regionalen Erzeugnisse vor allem um eins geht: ein gemütliches Schwätzchen.
Besonders am Samstag flanieren Einheimische und Touristen, Alt und Jung, Studenten und Familien über den Markt mit seinen rund 70 Ständen. Da türmt sich Obst und Gemüse in allen Farben neben regionalen Käse- und Wurstspezialitäten, da duften Rosen aus der Wetterau und türkisch-griechische Feinkostspezialitäten um die Wette. Viele der Marktbeschicker sind schon seit Generationen mit dem Gießener Wochenmarkt verbunden und verstehen sich als Teil einer wertvollen Tradition. Und die Kunden halten ihnen dafür über lange Jahre hinweg die Treue.
Doch so befremdlich es im ersten Augenblick klingen mag: Die frischen, regionalen Waren und Erzeugnisse spielen auf dem Wochenmarkt mitnichten die Hauptrolle. Wer den Gießener Markt besucht, der kommt, um sich mit Nachbarn, Freunden und Händlern zu treffen, um Erlebnisse, Neuigkeiten oder Rezeptideen auszutauschen. Oder einfach ein nettes Schwätzchen zu halten, wie es im Lokaljargon heißt. Und natürlich wird ganz nebenbei auch der Wocheneinkauf erledigt.
Seit 1983 haben die Gießener für ihr lieb gewonnenes Ritual sogar ein Wahrzeichen: die drei Schwätzer. Die überlebensgroße Bronzeskulptur des Künstlers Karl Henning Seemann steht an der Ecke Seltersweg/Plockstraße und zeigt zwei Männer und eine Frau beim gemütlichen Plausch. So sehr identifizieren sich die Gießener mit ihr, dass die Lokalzeitung den drei Figuren über 20 Jahre lang eine eigene Kolumne widmete, in der sie humorvoll das Stadtgeschehen kommentierten. Justus, Waldemar und Mariechen heißen sie da.
Einen Dreh- und Angelpunkt des quirligen Markttreibens bilden die Marktlauben. Sie gelten als eines der wenigen Gebäudeensembles der Stadt, die den zweiten Weltkrieg unbeschadet überstanden haben. Besucher finden hier etwa den Stand von Blumen Mülich mit seinem im Takt der Jahreszeiten wechselnden Angebot – und das seit 1947. Eine weitere Traditionsadresse unter den Arkaden ist der Stand von Gerda Mappes: Seit 1905 bietet ihre Familie Handkäse und Eier, aber auch Bauernbrot und Gemüse an. Direkt gegenüber kommen Fleischliebhaber auf ihre Kosten. Denn hier wurden die Arkaden mit Rolltoren versehen und so in kleine Verkaufslokale umgewandelt. Wie auf ein geheimes Stichwort schiebt etwa Markus Dehnert am frühen Samstagmorgen sein Rollo nach oben. Erst vor kurzem hat er den Stand der Marburger Traditionsfleischerei Hoffmann übernommen und damit den Fortbestand einer Jahrzehnte alten Gießener Institution gesichert. Seine Spezialität: herzhafte Wildbratwurst sowie Fleisch und Wurst aus biologischer und regionaler Erzeugung.
Horst Eckhardt ist auch so ein “Urgestein” im positiven Sinn des Wortes. Seit 42 Jahren bestückt er im heimischen Hüttenberg zwei Mal pro Woche seinen Stand. Je nach Saison landen kistenweise Äpfel, Birnen, Kirschen, Liköre oder Honig im Wagen. Solchermaßen reich bepackt, macht er sich schwungvoll auf den Weg nach Gießen. Früher begleitete ihn seine Mutter, heute verrät er neugierigen Kunden schon mal deren Rezeptgeheimnisse.
Ein echter Hingucker ist auch der Stand von Direktvermarkter Markus Tasch aus Lahnau. Duftend grün locken Küchenkräuter und vielfältige Basilikumsorten die Kundschaft an, üppig gelbe Sonnenblumen ergänzen das sommerliche Sortiment, und im Herbst ziehen in allen Farben glänzende Kürbisse die Blicke auf sich. Wer mag, erfährt auf kleinen Schildern kreative Einsatzmöglichkeiten für das Gemüse oder erfragt beim freundlichen Standpersonal die ein oder andere Rezeptidee.
Wem bei so vielen Leckereien das Wasser im Munde zusammen läuft, der findet sich spätestens um die Mittagszeit in der Schlange vor dem “La Cantina” wieder. Aus zwei mobilen Holzöfen ziehen die Mitarbeiter von Daniela Jäger hier im Akkord frische Backwaren und überbackene Ciabatta. Am Duft dieser Pizzavariation kommt so leicht keiner vorbei. Und die Gießener wären nicht die Gießener, wenn sie sich die Wartezeit nicht mit einem Schwätzchen versüßen würden.
Besonders praktisch: Direkt neben dem La Cantina serviert das Kaffee-Mobil von „Caféinsel“ köstliche Kaffeespezialitäten. Und wer nun Appetit auf mehr bekommen hat, der kann sich bei der Tourist-Information zu einer der begehrten Schlemmerführungen über den Markt anmelden. Kundige Guides haben Geschichten zu Markt und Händlern in petto, und das ein oder andere Probierhäppchen an den Ständen darf natürlich auch nicht fehlen.
Die Wochenmärkte im Lahntal haben wir hier zusammengestellt.